Lieber Servet, ein Nachruf aus der Ferne

„Mensch aus Kultur“ zu erforschen ist ein Anliegen von Kulturgut im Quadrat gUG, das Servet Akgöbek und mich 2015/16 angetrieben hat, uns gemeinsam auf dem Weg zu machen. Wir wollen verstehen, was die Bedeutung des Menschen in seiner Kultur ist und diese Erkenntnis digital in Wort, Bild und Ton weitergeben.

Befeuert durch die Flüchtlingswelle 2015, begaben wir uns in die Tiefen der menschlichen Handlungen – auch unserer-, die aus den kulturellen Prägungen entspringen: Servet, der Unternehmer, Philosoph, Karatschai und gläubiger Muslim – Ich, die Unternehmerin, deutsche Europäerin von protestantischer Ethik geprägt.

Der Mensch im Mittelpunkt in seiner Verschiedenheit! Und die Erkenntnis, der Mensch ist gar nicht so verschieden, wenn wir genauer hinschauen.

Angst und die Freiheit waren unsere großen Themen in den mehr als 7 Jahren in unserem „Therapieraum“ , wie Servet einmal unsere gemeinnützige Gesellschaft benannt hat. Mit Sensibilität und Offenheit in unseren Begegnungen haben wir gelernt, wofür wir uns in unseren Kulturen schämen und was wir schön finden. Das Letztere – die Schönheit – bringt uns Menschen zusammen. Begegungen der Menschen im Tanz, schöne bewegte Bilder und Fotos aus der Natur, den Reisen von Totem und Tabu, sollen das ausdrücken. Sie bilden uns, das Gemeinsame als Menschen zu verstehen.

Nähe aus der Distanz heraus gibt uns Freiheit – die wir beide lieben.

Ich schreibe überwiegend „war“ … in der Vergangenheit.

Am Freitag, den 3. November 2023 ist Servet nach schwerer Krankheit friedlich in Ankara eingeschlafen und wurde am Samstag in seiner Heimat, seinem Geburtsdorf zwischen Ankara und Konya würdevoll im Kreis seiner lieben Familie beigesetzt.

Die Pandemiejahre haben wir ohne Staatshilfe für Kulturgut überstanden – Servet überwiegend in Konya und ich in Heidelberg. Im November 2022 haben wir geplant, dass wir im Frühjahr 2023 endlich unser Video „Walderwachen“ in Mannheim projizieren.

Es kam anderst, Servet schrieb an mich Ende Januar 2023: ich bin schwer erkrankt. Es ist das Leiden, das er als Jugendlicher schon hatte, nach 20 Jahren bekämpft war und doch wieder ausgebrochen ist– Krebs. Ich fliege mit seinen Freunden und allein zu Krankenbesuchen nach Ankara, erlebe erstmals die geräuschvolle Millionenstadt und lerne seine schöne, liebe und kluge Schwester Kivanc kennen – wir werden Freundinnen. Seine Familie Mutter und Tante nehmen mich mit herzlichen Armen auf.

So ganz anders als die beschauliche und jugendliche Stadt Heidelberg, in dem er die Jahre nach seinem Studium als Wirtschaftspsychologe und Filmemacher gelebt, gearbeitet und um seine Existenz gekämpft hatte. Den frischen, lieblichen Wind in den Gassen und Cafés im Frühling und seine Freunde meinte er, liebe er besonders an der Stadt – deshalb komme er auch immer wieder hierher und halte seine Wohnung. Das war sein Platz, wo er seine philosophischen Gedanken in den Cafés niederschrieben konnte. Das Werk wollte er vollenden, so sein Plan – doch sein Körper hatte am Ende keine Kraft mehr.

Ich traure um Dich lieber Freund und Weggefährte und tröste mich mit Deinen Worten aus unserer Begegnung im Februar, die ganz Du selbst sind:

“ Es passiert was, was zu passieren hat. Und zwar dann wenn es passiert. Wichtig sind Menschen und Zeit, die dazwischen durch uns mit Leben und Freude gefüllt werden“. (Servet Akgöbek, Feb. 2023)

Du bist im meine Gedanken und in meinem Herzen lebendig, ich wünsche Dir eine gute Reise in Frieden.

Deine Erika

Heidelberg, 05.11.2023